Er geht ganz nach vorne, bis ans Ende der Garnitur und sieht schon durch die Fenster, dass es eine der Alten mit speibgrünem Interieur ist. Er überlegt, wo und wie er sich am besten hinsetzt um in der Spittelau nicht erkannt zu werden, weil er will ihr wirklich nicht unbedingt begegnen und sich fragen lassen warum er denn hier ist und sie somit angelogen hat. Er setzt sich auf die rechte Längsbank ganz vorne, mit dem Rücken zum Fenster. Der Zug ist fast leer und er fragt sich was die paar anderen hier drin, die zwar eh in ihre Handys vertieft sind, denken, warum er sich ausgerechnet da hinsetzt.
Als der Zug vor der Spittelau schon langsamer wird bekommt er endlich die Nachricht, sie bleibt noch dort und das entspannt ihn, auch wenn es ihn gleich danach ein bisserl angiftet, weil jetzt hätte er sich auch normal wo hinsetzen können.
In der Spittelau steigen ein paar Menschen ein, offenbar ist der Lokführer früher stehengeblieben als sonst, weil sie kommen von vorne gelaufen und steigen alle bei seiner Tür ein. Das Mädchen, mit blonden Haaren und einer Frisur, die entfernt an einen breiten Atompilz der frühen Unterwassertests erinnert, allerdings ohne dabei besonders auffällig zu sein, geht zielgerichtet zur gegenüberliegenden Bank und setzt sich hin. Sie hat pinke Kopfhörer um den Hals und - ein Vorgriff - ihm wird erst nach dem Aussteigen bewusst, dass er keine Ahnung hat, was sie angehabt hat.
In Heiligenstadt - wieder kommen sie von vorne gelaufen, aber halt auf der anderen Seite - steigt als Letzter ein Mann ein, ganz in Schwarz, mit freundlichem, gefülltem Gesicht, dreht sich in unsere Ecke und setzt sich neben sie, aber eh nicht sehr nah weil die Bank ist ja recht lang. Sie grüßt den Mann beiläufig zurück, irgendwo zwischen gleichgültig und widerwillig, ein weiteres Adjektiv gehört da noch dazu aber das fällt ihm nicht ein. Der in Schwarz fragt ob sie noch immer im Steirereck arbeitet und sie sagt, den Blick noch immer eher desinteressiert den Fußboden betrachtend, ja. Wie gehts dem Max sagt der in Schwarz, der studiert, und wohnt der noch daheim wie sie, nein der is immer irgendwo, also ist der nicht oft daheim, ob man das überhaupt noch sein Daheim nennen kann meint sie. Er schaut kurz von seinem Handy auf, wo er Fußballanalysen überfliegt, während er mittlerweile nur noch diesem Gespräch da gegenüber zuhört und sieht, dass der in Schwarz offenbar recht beschwipst ist, ihm ein bisserl Distanzgefühl abgeht, sie aber noch immer beiläufig, gleichgültig, ja - das ist es vielleicht - auch ziemlich gelassen.
Wie das die hübsche Freundin vom Max aushält, oder ob es die überhaupt noch gibt, nein die gibts schon länger nimmer. Offenbar redet sie nicht so gern über den Max und - ohne sich das anmerken zu lassen - scheint das der in Schwarz übernasert zu haben. Im Steirereck gehts ja ordentlich her, oder? Ja. Ob sich das überhaupt auszahlt, ja schon, ob sie sich dem für immer hingibt - die Wortwahl lässt ihn gegenüber wieder aufschauen, aber das Bild unverändert - sie zuckt die Achseln und sagt sie weiß es nicht, eher nicht. Oder doch nicht ganz unverändert fällt ihm auf, das Gelassene ist weg, ein bisschen herausfordernd hört man es jetzt durch unter der Gleichgültigkeit.
Der Schwarze ist sich jetzt sicher, dass sie den Papa versteckt hat und dass der garnicht weg ist, sie schaut ihn direkt an und er sagt, sie soll doch bei ihnen beginnen - bei den Pfadfindern. Der Zug beginnt schon wieder zu bremsen und sie schaut jetzt zum ersten Mal herüber - kurz ihm in die Augen, aber nicht sehr eindringlich. Verlegen und eine Spur hilfesuchend schaut sie, nicht weil sie Hilfe bräuchte, aber weil sie wohl bemerkt hat, dass er von da drüben zuhört und sie halt nochmal so schauen wollte bevor er aussteigt.
Er merkt, dass der Zug schon ein paar Sekunden steht, er springt auf und huscht durch die halb geöffnete Doppeltür die drei Stufen hinunter auf den Bahnsteig. Von hinten kommt ein Fünfzehnjähriger, der noch schnell die Tschick in die Unterführung wirft, gelaufen, steigt ein und setzt sich auf die freigewordene Bank.
Der Zug fährt an und er könnte nicht einmal sagen was sie angehabt hat.
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